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Fünf Jahre Krieg im Jemen - Arzt des Klinikums arbeitet mit Team von Ärzten ohne Grenzen

28.03.2020 Neumarkt.

 
Im Jemen herrscht ein blutiger Bürgerkrieg. Seit nun fünf Jahren kämpfen Huthi-Rebellen aus dem Norden des Landes gegen Truppen der international anerkannten Regierung. Die Rebellengruppen werden dabei durch den Iran, die jemenitische Regierung hingegen durch eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition unterstützt. Aufgrund der strategisch wichtigen Lage des Landes am Roten Meer und dem Golf von Aden werden innerhalb der jemenitischen Staatsgrenzen Interessen internationaler Mächte ausgetragen – leidtragend ist in erster Linie die zivile Bevölkerung.
 
Die Vereinten Nationen bezeichneten die Lage im Jemen unlängst als die aktuell „größte humanitäre Katastrophe“ weltweit. Die Menschen des Landes leiden nicht nur an den direkten Folgen der Kampfhandlungen, sondern auch an Hunger. Eine nahezu vollständige Blockade der See-, Land- und Luftwege hat die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und direkten Hilfsgütern erschwert. Den Vereinten Nationen zufolge sind im Jemen zurzeit rund zehn Millionen Menschen von einer Hungersnot betroffen oder bedroht. Die Welthungerhilfe beziffert die Zahl der akut unterernährten Kinder auf rund zwei Millionen. 
Die humanitäre Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ leistet seit Beginn des Krieges ununterbrochene Nothilfe für die jemenitische Bevölkerung. Zurzeit arbeiten die Teams in 12 Krankenhäusern an mehreren Orten des Landes und mittlerweile ist der Einsatz im Jemen einer der größten für Ärzte ohne Grenzen weltweit. Der überwiegende Teil der Menschen hat keinen freien Zugang zu einer qualifizierten medizinischen Versorgung. Unter anderem betreibt die internationale Organisation in der Hafenstadt Aden, ganz im Süden des Landes, eine Klinik für Verletzte. 
 
Der Anästhesist und Notfallmediziner Dr. Götz Gerresheim aus Neumarkt hat das internationale Team in Aden für vier Wochen unterstützt. Dr. Gerresheim ist regelhaft als Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Schwemmer tätig und beendete nun seinen sechsten Einsatz mit „Ärzte ohne Grenzen“.
„Alle unsere Patienten waren Opfer von Gewalt“, berichtet der 50-jährige Narkosearzt. „Die meisten unserer Patienten stammten direkt aus dem Großraum von Aden und hatten Schussverletzungen erlitten. Sicher 80 Prozent der Patienten, die ich zusammen mit den einheimischen Ärzten alltäglich in der Notaufnahme behandelt habe, wurden durch einen oder mehrere Schüsse verletzt. Dabei war aber nicht jede Schussverletzung gleich ein Notfall, manchmal galt es nur eine Fleischwunde zu versorgen, andere Male - gerade wenn große Blutgefäße verletzt wurden - musste es ganz schnell gehen und wir sind gleich in den Operationssaal gefahren.“, führt der Arzt ruhig aus.
 
Die eigentliche Frontlinie der Kämpfe verläuft zurzeit gut 150 km weiter nördlich – dort sind weitere Teams von Ärzte ohne Grenzen vor Ort, die einige Patienten nach einer ersten Stabilisierung nach Aden verlegt haben. „Wir haben täglich zwei Patienten von den anderen Teams übernommen“, schätzt Dr. Gerresheim, „die hatten dann meist komplexe Verletzungen durch Explosionen.“ Ärzte ohne Grenzen konnte diese größere Klinik in Aden aufbauen, da die Sicherheitslage dort zurzeit recht stabil ist und so konnten auch Patienten mit komplizierten Ver-letzungen behandelt werden. „Ich war wirklich sehr von der medizinischen Behandlungsqualität vor Ort beeindruckt. Man merkte, dass alle gemeinsam das Beste erreichen wollten und medizinisch hatte ich viel mehr Möglichkeiten als in meinen anderen Projekten. Die einfache Tatsache, dass wir kontinuierlich Strom zur Verfügung hatten, erweiterte die Möglichkeiten deutlich. Wir haben zum Beispiel eine Intensivstation eingerichtet, auf der wir die besonders kritisch Verletzten nach großen Operationen für ein paar Tage künstlich beatmen konnten. Das war für mehrere Menschen in meiner Zeit ganz sicher rettend.“
„Ganz persönlich habe ich mich während meines Einsatzes immer sicher gefühlt“, so der Mediziner. „Man hat oft die Schüsse in den Straßen gehört, deswegen durften wir das Krankenhaus auch nicht verlassen, es gab aber keinen Moment, in dem ich an unserer Sicherheit gezweifelt habe.“
 
Inzwischen arbeitet Dr. Gerresheim wieder auf der Intensivstation des Klinikums in Neumarkt. „Hinter mir liegen vier sehr spannende Wochen, in denen wir eine ganz sinnvolle Arbeit gemacht haben, und nun bin ich dankbar, wieder in meinem tollen Team hier arbeiten zu dürfen.“
 
Und wie fühlt es sich an, aus einer solchen Krisenregion in unsere besondere Situation zurückzukehren? Hier antwortet der Arzt ganz klar: „Ich glaube, dass in der Klinik in den kommenden Wochen sehr große Herausforderungen auf uns zukommen werden und ich fürchte, dass wir uns noch gar nicht recht vorstellen können, was es zu bewältigen gibt. Hier merke ich, wie sich alle im Haus ruhig und sehr gut geplant vorbereiten. In erster Linie bin ich aber stolz auf unsere Gemeinschaft – vor allem auf das Team der Pflege! Das sind ja diejenigen, die die meiste Zeit mit den infizierten Patienten verbringen und die merken jetzt schon, dass sehr viel und sehr schwierige Arbeit auf uns zukommt. Ich erlebe alle als zuversichtlich und motiviert und sehe, wie sie die Ärmel hochkrempeln. Am Eingang der Intensivstation hängt ein Schild: Wir bleiben für Euch da – bleibt Ihr für uns daheim“.
 
Foto: Herrn Dr. Gerresheim
 
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